Das gefährliche Spiel des ‚dunklen Lords‘ Dominic Cummings

7. Juni 2020

Schluss mit Fair Play, das hat selbst die Mehrheit der Briten nach Dominic Cummings‘ privilegiertem Ausflug während des Corona-Lockdowns gemerkt. Während sie sich überwiegend zwei Monate an die von der Regierung Johnson (viel zu spät) verhängten Beschränkungen hielten oder für die Nichtbeachtung der Regeln bestraft wurden, nahm Cummings, seit Juli 2019 Boris Johnsons Chefberater, Sonderrechte für sich und seine Familie in Anspruch. Als er und seine Frau Symptome einer Covid-19-Erkrankung zeigten, zog er eine Art von Selbstisolation in einem Gebäude auf dem Besitz seines Vaters in Durham (Nordengland) einer Isolation in London vor. Wie er in einem ungewöhnlichen Statement am 25. Mai 2020 erklärte, hielt er dies im Interesse der möglichen Versorgung seines Sohnes für gerechtfertigt, die angeblich in London nicht möglich gewesen sei. Sehr verblüffend und wenig überzeugend berichtete er allerdings auch von einer halbstündigen Probefahrt mit Frau und Kind zur nächsten Marktstadt nach Abklingen der akuten Krankheitssymptome, um zu testen, ob sein Sehvermögen ausreichte für eine Fahrt zurück nach London.

Er las sein langatmiges Statement ab bzw. spulte es schnell herunter und machte zeitweise den Eindruck, Zuhörer einschläfern zu wollen. Er griff auch Medien an, denen er schon lange ablehnend gegenübersteht, sie hätten Falschnachrichten verbreitet und daher hätte er auch keine Veranlassung gesehen, seine Schritte früher öffentlich zu machen. Seine Haltung manchen Forderungen gegenüber „I respectfully disagree“, Deutsche mögen das übersetzt für höflich halten, bedeutet letztlich ein trotziges „Es ist mir egal, was andere von mir verlangen.“ Auf die Fragen der Presse antwortete er vergleichsweise stockend und herablassend.

Er bereut nichts, entschuldigt sich nicht, er denkt nicht an Rücktritt, wie andere, er darf das eben. Was immer genau an allen Details stimmt, es bleibt der fahle Beigeschmack und daher auch der Aufruhr sogar unter traditionellen Wählern der konservativen Partei und auch in den eigenen Reihen der Tories , dass hier mit zweierlei Maß gemessen wurde. Es gibt eine Regel für andere und eine Regel für ihn. In Erinnerung an George Orwells ‚Animal Farm‘ sind eben doch manche Tiere gleicher als andere. Es sendete das Signal, dass ‚das Volk‘ sich an Einschränkungen zu halten habe, ‚die Elite‘ sich aber das Recht herausnimmt, selbst zu entscheiden und tun zu können, was sie will. Hier stutzt man und erinnert sich an den Kurs, den Cummings Boris Johnson sowohl bei der Brexit-Kampagne als auch den Unterhauswahlen vorgegeben hat.

Parallelen zu ‚,Vote Leave‘‘ und den Parlamentswahlen

Dominic Cummings, wird von manchen auch treffend ‚der dunkle Lord‘ genannt, ob in Anlehnung an die Harry Potter-Bücher oder die Star Wars-Filme. Er ist vielen noch in düsterer Erinnerung als ‚Vater des harten Brexits‘, denn er war auch der Planer hinter der Wahlkampagne „Vote Leave“ bei dem EU-Referendum 2016. Seine Kampagne, mit welchen Mitteln auch immer, war erfolgreich für die Brexiteers. Johnson war nur die Gallionsfigur. Auch vor illegalen Mitteln schreckte Cummings nicht zurück, indem z.B. illegal Spendenlimits gebrochen wurden und er sich weigerte, dazu Rechenschaft vor dem parlamentarischen Ausschuss abzulegen.

Auch hier wieder die Überzeugung, er stehe über dem Gesetz. Dies steht in einer Linie mit Johnsons Verhalten, eine Zwangspause für das britische Unterhaus durchzusetzen, um Brexit-Verzögerungen zu verhindern, weil er auch annahm, er stehe über dem Gesetz. Selbst wenn im letzten Fall der Supreme Court, das höchste britische Gericht, Johnsons Handeln für illegal erklärte und das Unterhaus weiterarbeiten konnte, Johnson blieb Premierminister. Und obwohl der das Gesetz gebrochen hat, gewann er im Dezember 2019 die Unterhauswahlen mit überwältigender Mehrheit, vor allem mit dem Ticket „Get Brexit Done“. Letztere Parole stammte auch wieder von Cummings, wenn er sich auch im Hintergrund hielt. Er, obwohl selbst nicht Mitglied der konservativen Partei, ist das strategische Gehirn hinter dem Brexit und Johnsons letztem Wahlsieg. Beide Male machte er sich auch die politikfeindliche Stimmung gegen ‚die da oben‘, gegen etablierte Politiker zunutze. Johnson wurde präsentiert als tatkräftiger ‚Boris‘, einer von uns, der die Menschen versteht (im Gegensatz etwa zu seiner glücklosen Vorgängerin Theresa May).

Volk gegen Elite – auch beim Brexit

Cummings zieht die Fäden, bis hinein in die gegenwärtigen Verhandlungen zwischen EU und UK, auch wenn das offiziell vom britischen Verhandlungsführer David Frost abgestritten wird. Die Formel „Wir verstehen das Volk, wir sind gegen die Eliten“ ist zugkräftig. Die Eliten sind dann etwa die Vertreter von EU-Institutionen, die auch die Briten in Sklaverei halten, von denen man sich befreien soll, um wieder nationale Souveränität zu erlangen und um wieder die Kontrolle zu bekommen. Volk gegen Eliten, einfache Lösungen … das ist doch aus dem Arsenal populistischer Strategien. Und plötzlich wird klar, dass Dominic Cummings, wie auch Johnson, selbst zur Elite gehören, u.a. beide Absolventen der Universität Oxford, aber vor allem beide gewohnt, ihre eigenen Regeln zu machen oder für andere gültige Regeln zu brechen.

Dem Volk wird eine Elite als Feind vorgegaukelt, die Fakten spielen keine Rolle. Die EU hielt UK z.B. nicht in Sklaverei, sondern UK wollte nach zwei fehlgeschlagenen Beitrittsgesuchen endlich beim dritten erfolgreichen Beitrittsgesuch 1973 zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unbedingt beitreten. Sie wurden nicht gezwungen. Sie saßen mit an Verhandlungstischen und unterschrieben alle späteren Verträge, handelten sogar viele vorteilhafte Sonderregelungen für sich aus. Allein wirtschaftlich hatte der Beitritt UK große Vorteile und Einfluss gebracht.

Es gibt keine einfachen Lösungen für schwierige Sachverhalte. Selbst der Austritt aus der EU, seit 31. Januar 2020 ist UK kein Mitglied mehr und befindet sich noch in einer vereinbarten Übergangsphase, führt nicht ganz einfach zu Souveränität oder Kontrolle über das eigene Land. Verträge wurden geschlossen, Institutionen sind verwoben, europäische Kooperationsprogramme, wirtschaftliche Verflechtungen, Verhandlungen werden geführt etc.. Das ist den Wählern von ‚‚Vote Leave‘‘ nicht gesagt worden. Es wurde gelogen und verschwiegen, gelogen über die Summen, die UK an die EU zahlte, verschwiegen, welche Vorteile sie davon haben, verschwiegen, welche negativen Konsequenzen ein Austritt haben würde.

Aber genau das sind die Waffen des Dominic Cummings, die Verführung der Bevölkerung, über die er sich selbst erhebt, das Aufpeitschen der Emotionen und die Ausschaltung des Verstandes, außer für sich selbst. Denn ohne Verstand hätte er, der lange schon erklärte Euroskeptiker, nicht solch erfolgreiche Kampagnen durchführen können. Das ist die Gefahr durch Cummings, die populistischen Methoden. Es werden die ‚normalen Menschen‘ sein, die letztlich die Zeche bezahlen, nicht nur bei den unverschuldeten Auswirkungen der Corona-Krise, sondern auch bei den durch Strippenzieher wie Cummings im Hintergrund mit verschuldeten Brexit-Folgen.

Für Harry-Potter-Kenner sei angemerkt, dass der dunkle Lord am Ende untergeht, aber nur durch solidarische Gegenwehr unter der Leitung eines unerschrockenen Kämpfers … aber wir sind nicht in einem Märchen. Klar ist aber, dass die Verführungs- und Verdummungsmethode nur dann funktioniert, wenn Menschen nicht hinterfragen und blind folgen. Beim Thema Brexit mag man Cummings noch gefolgt sein und Johnson braucht Cummings mehr denn je, weshalb er auch so vehement an ihm festhält. Aber beim Ignorieren von Fair Play, einer so ur-britischen Tugend, wie bei den letzten Eskapaden von Cummings, werden doch viele wach und fragen sich, wieso es denn zwei Arten von Gesetzen gibt.

Noch verteidigt Johnson Cummings

Johnson verteidigte bisher Cummings Handeln während der Ausgangssperre vehement und sagte, der Instinkt als Vater habe Cummings geleitet und sein Handeln sei legitim gewesen, aber Instinkt ist nicht das Gesetz. Cummings ist zu clever, um nicht alle möglichen Schlupflöcher durchdacht zu haben, sehr wahrscheinlicher war wohl, vor allem bei seinem Testausflug aufs Land, um seine Sehkraft auszuprobieren, dass er sich einfach über das Gesetz stellte. Auch wenn manche regierungstreuen Zeitungen behaupten, für Leute wie Cummings müsse es Sonderrechte geben, weil sie so einen anspruchsvollen Job hätten, und er sei nur Blitzableiter einiger für seine Rolle beim Brexit, sein Alleingang hat viele sehr verärgert und verletzte ihren Gerechtigkeitssinn.

Ohne Cummings wäre allerdings Johnson auch ohne seinen Chefstrategen und die dunkle Macht im Hintergrund, die ihm Siege beschert hat. Es wäre ein harter Schlag für Johnson, ihn zu verlieren. Viele hoffen darauf.