Boris Johnson – Strategiepoker oder Ignoranz in Sachen EU-Handelsvertrag?

14. Mai 2020

Premierminister Boris Johnson, der seine Covid-19-Erkrankung glücklicherweise überstanden hat, ist zurück in der politischen Arena. Er wirkte sowohl bei seinem TV-Update am 10.05. zur Corona-Pandemie als auch in seinem Statement am 11.05. im Unterhaus ernsthafter als früher und bemühte sich um Bezugnahme auf wissenschaftliche Fakten. Allerdings wich er den präzisen Fragen von Oppositionsführer Keir Starmer meist aus und konnte Verwirrungen und Missverständnisse nicht aufklären. Es wurde sehr deutlich, dass er einen harten politischen Gegner hat.

Auch die Einheit des Vereinigten Königreichs war schon vorher angeschlagen, indem Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon z.B.  das neue Motto „Stay Alert“ (Bleiben Sie wachsam) als ungenau bemängelte und für ihr Land das vorherige Motto „Stay at Home“ (Bleiben Sie Zuhause) weiter verwenden wollte, weil es Menschen eine klarere Botschaft sende.

Das Vereinigte Königreich, das mittlerweile die höchste Todesrate durch Covid-19 in Europa hat, verlangt nach Hoffnung, einer Exit-Strategie aus dieser Krise und ihr Premierminister versucht dem gerecht zu werden, was schon genug Anstrengung erfordert.

Die Uhr tickt

Aber am 5. Mai begannen auch die Verhandlungen mit den USA über einen Handelsvertrag, und die Verhandlungen mit der EU laufen. Es verwundert, dass ein Abkommen mit der EU kaum Erwähnung in der britischen Presse findet, obwohl es gerade in und nach Corona-Zeiten auch über die wirtschaftlichen Einschnitte oder das Ausmaß der Verluste entscheiden wird.

Die Zeichen auf Einigung stehen nach den ersten Runden nicht gut. Auch wenn der ‚politische Brexit‘ seit 1. Februar vollzogen ist, der ‚wirtschaftliche‘ kommt erst, wie EU-Verhandlungsführer Michel Barnier in einem Presse-Statement nach der letzten Verhandlungsrunde deutlich sagte. Er äußerte sich ‚beunruhigt‘ und sah kaum Fortschritte bei den Verhandlungen.  Am 11. Mai startete wieder eine Runde der EU-UK-Verhandlungen per Video.

Die Taskforce für die Beziehungen zum Vereinigten Königreich (UKTF) hat Mitte März einen Entwurf zu den zukünftigen Beziehungen erarbeitet. Auf der offiziellen Website der britischen Regierung wurde ein eigenes Dokument Ende Februar vorgestellt. Die Positionen liegen also auf dem Tisch. Selbstverständlich ist in Verhandlungen auch Taktik zum Vorteil der eigenen Seite gefragt, doch die Taktik des britischen Premierministers Johnson, wenn es denn eine ist, scheint riskant.

Radikalisierung der Brexit-Position

Schon Ende Februar wurde deutlich, dass die Wünsche beider Seiten stark auseinander gingen. Nach dem haushohen Sieg Johnsons bei den Parlamentswahlen, nicht zuletzt mit dem Ticket „Get Brexit done“, kamen immer öfter scharfe Töne und Äußerungen, man interpretiere vor allem die Politische Erklärung zum Austrittsvertrag anders. So werde man sich etwa nicht rechtlichen EU-Vorgaben, schon gar nicht von dem (verhassten) Europäischen Gerichtshof, unterwerfen und wolle auch die Kontrolle über die Fischereigründe selbst bestimmen, da man ein unabhängiger Küstenstaat sei. Diese Aussagen von Michael Gove nahmen selbstbewusst und konfrontativ die Rhetorik des Wahlkampfs der Brexit-Befürworter auf, die Kontrolle über das eigene Land und die Souveränität wieder zu bekommen und setzten zumindest im zweiten Punkt vor allem auf Emotionen. Auch Johnson hatte mehrfach gesagt, wenn man etwa ein Freihandelsabkommen wie mit Kanada nicht bekomme, nehme man eben das Australische Modell, d.h. kein Freihandelsvertrag, und ein Verhandlungsabbruch wurde als Drohkulisse eingebracht.

Schon im März wies etwa die Financial Times auf die Radikalisierung von Johnsons Brexit-Position hin, die sich hinter den Corona-Maßnahmen verstecken könnte. Auf dem Altar nationaler Unabhängigkeit könnte auch etwa der Pragmatismus europäischer Zusammenarbeit geopfert werden und die Gefahr einer dogmatischen Ablehnung von allem, was nur entfernt mit der EU verbunden sein könnte, bestehe.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas warnte am Wochenende vor einem harten Bruch zwischen EU und UK am Ende der Übergangsphase bei den festgefahrenen Verhandlungen. Er kritisierte Abweichungen bei der immerhin auch von Johnson unterschriebenen Politischen Erklärung zum Austrittsvertrag.

Die Auswirkungen der Corona-Krise werden so gewaltig sein, dass die Folgen des Brexits zum Teil darin und dahinter verschwinden könnten. Wenn die EU-Verhandlungen von britischer Seite ernsthaft betrieben werden, könnte die Strategie sein, die EU unter Druck zu setzen und das Spiel zu spielen, ‚Wer sich zuerst bewegt, hat verloren‘.  Zum einen steht die Drohung eines Abbruchs der Verhandlungen von britischer Seite schon im Raum, eventuell auch um mehr Zugeständnisse zu bekommen. Zum anderen ist man vielleicht wirklich der Meinung, aus Selbstüberschätzung einer glorreichen nationalen Zukunft, dass ein national gestärktes Königreich selbstbewusst auch einen harten Brexit ab 2021 ohne festen Freihandelsvertrag verkraften würde.

Keine Zeit für Nettigkeiten

Auch wenn Grußnachrichten von Diplomaten, wie etwa dem EU-Botschafter in UK, Joao Vale de Almeida am Europatag ein Zeichen von Solidarität, Freundschaft und gutem Willen sind, so sollten sie doch vorrangig ein Bekenntnis zu einem Europa sein, in dem das Ganze stärker sein muss als das Einzelne.

Deutschland und die EU haben oft genug und deutlich genug gesagt, wie sehr sie den Brexit bedauern, dass dies aber eine britische Entscheidung gewesen sei. Es ist Zeit, die höflichen, freundschaftlichen Mitteilungen als zweitrangig zu sehen und die Verhandlungen vorrangig als Machtkampf zu verstehen. Es geht nicht um nationale, politische Taktiken der Johnson-Regierung oder um immer wieder neue Überraschungseffekte, welche die sachlich sehr gut vorbereiteten Verhandlungsführer auf EU-Seite verblüffen. Es geht um harte Verhandlungen und auch die EU hätte gerade in diesen Zeiten viel zu verlieren, wenn sie zu viel nachgeben würde.

Ein Freund von mir sagte vor langer Zeit in England: ‚Ihr Deutschen liebt die Engländer mehr als umgekehrt, aber eine einseitige Liebe ist Energieverschwendung.‘ Liebe hat in Verhandlungen nichts zu suchen, Vorlieben für englische Gärten, Tea Parties und schwarzen Humor ergeben keinen Handelsvertrag. (Letzteres könnte zwar in manchen Verhandlungen ggf. helfen, ist aber bei Kontinentaleuropäern meiner Erfahrung nach nicht so verbreitet.) Beide Seiten wollen etwas, die Briten verhandeln hart, Kernparole ist die nationale Souveränität und die Vergangenheit ihrer EU-Zugehörigkeit hat gezeigt, dass sie immer mehr Vorteile erstritten haben bis Grenzen gesetzt wurden.

Keine Angst vor den USA-UK-Verhandlungen als medienwirksames Druckmittel, nicht aus wirtschaftlicher Sicht schon wegen der Stärke des EU-Handelsvolumens und nicht aus politischer Sicht. Wenn Präsident Trump ‚America First‘ setzt und Johnson ‚Britain First‘, ist klar, dass das Gerangel um den ersten Platz nur einer der beiden gewinnt.

Daher: Was immer Johnsons Strategie gegenüber der EU ist, es spielt keine große Rolle, wenn die EU-Position eindeutig und stark ist und nicht von britischen Sondermethoden abgelenkt wird.

Nach Verhandlungsende kann man sich auf eine Tasse Tee in einem englischen Garten zusammensetzen.